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Téa Obreht, Im Morgenlicht
Berührend, atmosphärisch, originell.
Sil und ihre Mutter sind in der versinkenden Inselstadt Island City angekommen, nach der Flucht aus ihrer einst schönen, kriegsversehrten Heimat – über die die Mutter so wenig spricht wie über den verschwundenen Vater. Der Neuanfang ist hart. Die Mutter schlägt sich als Bergungstaucherin durch, und die beiden kommen bei Tante Ena unter, die als Hausmeisterin den glanzvoll-maroden Wohnturm «Morgenlicht» versorgt.
Sie sind hier nicht die Einzigen aus der alten Heimat: Im Penthouse residiert die mysteriöse Bezi Duras – eine exzentrische Malerin, politische Aktivistin oder vielleicht doch eine Hexe aus der alten Welt? Sil will mehr erfahren, über die eigene Herkunft, Bezi Duras und die Geheimnisse im «Morgenlicht». Dann zieht eine seltsame Familie ein, in der Sil eine Freundin findet, doch mit ihr bricht auch die totgeschwiegene Vergangenheit auf. Als die Mutter bei einem Tauchgang verschollen geht, steht Sil kurz davor, die ganze Wahrheit herauszufinden.
Téa Obreht nimmt uns mit in ein Übermorgen mit steigenden Meeren, gesellschaftlichem Zerfall. Zugleich erzählt sie von der Suche nach Wahrheit, der Hoffnung und einer Mutter-Tochter-Beziehung – tief, poetisch, in unvergleichlichen Bildern.
Téa Obreht, Im Morgenlicht, Rowohlt Berlin (https://www.rowohlt.de), 352 Seiten, ISBN 978-3-7371-0205-6, 25 Euro.
Clemens Meyer, Die Projektoren
Faszinierend, umfassend und ergreifend! Der neue Roman von Clemens Meyer: Ein Epos über die Krisen Europas und die Kunst des Erzählens. Nominiert für den Deutschen Buchpreis und den Bayerischen Buchpreis 2024.
Von Leipzig bis Belgrad, von der DDR bis zur Volksrepublik Jugoslawien, vom Leinwandspektakel bis zum Abenteuerroman. Schonungslos und rasant erzählt »Die Projektoren« von unserer an der Vergangenheit zerschellenden Gegenwart – und von unvergleichlichen Figuren: Im Velebit-Gebirge erlebt ein ehemaliger Partisan die abenteuerlichen Dreharbeiten der Winnetou-Filme. Jahrzehnte später finden an genau diesen Orten die brutalen Kämpfe der Jugoslawienkriege statt – mittendrin eine Gruppe junger Rechtsradikaler aus Dortmund, die die Sinnlosigkeit ihrer Ideologie erleben muss. Und in Leipzig werden bei einer Konferenz in einer psychiatrischen Klinik die Texte eines ehemaligen Patienten diskutiert: Wie gelang es ihm, spurlos zu verschwinden? Konnte er die Zukunft voraussagen? Und was verbindet ihn mit dem Weltreisenden Dr. May, der einst ebenfalls Patient der Klinik war?
Clemens Meyer, Die Projektoren, S. FISCHER (https://www.fischerverlage.de), 1056 Seiten, ISBN: 978-3-10-002246-2, 36 Euro.
Thomas Sautner, Pavillon 44
Tiefgründig. Abgründig. Klug. Komisch.
In einer psychiatrischen Anstalt am Rande Wiens sammelt Primar Siegfried Lobell die spannendsten Fälle. Von seinen Patientinnen und Patienten in Pavillon 44 erhofft er sich Erkenntnisse über das Rätsel Mensch, den eigenartigen Zustand der Welt und über das obskurste Mysterium von allen – sich selbst.
Als zwei seiner Patienten verschwinden, macht sich auch Lobell auf in die Wiener Innenstadt. Was er findet, sind jede Menge Verrückte, aber nicht die beiden. Der Besuch der Schriftstellerin Aliza Berg, die sich in Lobells Pavillon 44 als Gast für eine Rechereche einquartiert, macht die Sache nicht besser …
Thomas Sautner, Pavillon 44, Picus Verlag (https://www.picus.at), 450 Seiten, ISBN 978-3-7117-2149-5, 26 Euro.
Gian Marco Griffi, Die Eisenbahnen Mexikos
Skurril genial bzw. genial skurril. Die Eisenbahnen Mexikos ist ein in jedem Sinne großer Roman, chorisch und monumental erzählt, lustig und bewegend, spielerisch und tiefgründig, realistisch und phantastisch, unerbittlich fesselnd, immer herzlich und dabei durch und durch literarisch. Mit der geballten Wucht seiner Originalität verneigt sich der Roman vor seinen Vorbildern: Jorge Luis Borges, Siri Hustvedt oder Roberto Bolaño. Eine Wunderkammer von Roman.
Italienische Sozialrepublik, 1944: Aus den höchsten nationalsozialistischen Kreisen in Berlin erreicht den Unteroffizier Cesco Magetti der Befehl, einen vollständigen Plan des mexikanischen Eisenbahnnetzes zu erstellen. Eine in den Tiefen des Landes versteckte Wunderwaffe soll dem Reich den Endsieg bescheren. Cesco macht sich auf die Suche, wobei sein Weg ihn auf die eine oder andere Weise zu zahlreichen wundersamen Menschen führt, die sich manchmal sogar als hilfreich erweisen. Darunter die folgenden: - Tilde Giordano, eine wunderschöne Literaturliebhaberin, der Cesco sofort und unwiderruflich sein Herz schenkt - Steno, Tildes treuer Freund, ein Partisan ohne Waffen - Don Tibeno, ein Stadtpfarrer, der wegen gewisser wahnsinniger Leidenschaften hinter Gittern sitzt - Bardolf Graf, ein Verwaltungsangestellter, der ahnungslose, unbewegliche Motor der ganzen Geschichte.
Gian Marco Griffi, Die Eisenbahnen Mexikos, Claasen Hardcover (https://www.ullstein.de), 800 Seiten, ISBN 9783546100847, 26 Euro.
Andrew O'Hagan, Caledonian Road
Meisterhaft! Sunday Times-Bestseller.
London, Donnerstag, 20. Mai 2021, die Temperatur beträgt 16 Grad, es ist heiter, später gibt es Schauer. Als Campbell Flynn, 52 Jahre alt und auf der Höhe seines Ruhms als öffentlicher Intellektueller, an diesem Tag aus dem Taxi steigt, trägt er sich noch mit Gedanken an ein neues publizistisches Projekt. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend zählt er heute zur Elite des Vereinigten Königreichs: seine Frau, die Tochter einer Gräfin, sein bester Freund, ein Industrieller, sein Schwager, ein Politiker mit Einfluss, sein Leben getaktet von Vorträgen, Vernissagen und Society-Events. Seine Schwäche, seine Eitelkeit und der Umgang mit dem lieben Geld. Sein Widersacher: sein liebster Schüler.
Im Laufe eines Aufsehen erregenden Jahres wird ein Netz von Verbrechen, Geheimnissen und Skandalen aufgedeckt; und Campbell Flynn, das Drehkreuz dieses monumentalen Gesellschaftsromans, der seine Fühler ebenso in zwielichtige Fabriken wie in vornehme Gemächer, ebenso in die Köpfe illegaler Immigranten wie in die Häupter ausbeuterischer Kapitalisten und korrupter Parlamentarier ausstreckt, Campell Flynn, dieser Inbegriff des liberalen, gebildeten weißen Mannes, wird fallen wie die Ära, die er verkörpert.
Andrew O'Hagan, Caledonian Road, park x ullstein (https://www.ullstein.de), 784 Seiten, ISBN 9783988160034, 30 Euro.
Hans Janowitz, Jazz
Mitreißend. Hinreißend! Ein Roman, komisch, verführerisch, wild und mitreißend wie eine Jazz-Komposition.
Es wird turbulent in einem Zug auf dem Weg nach London: Eine aus Langeweile in Ohnmacht gefallene Dame wird von einem Sohn aus adligem Hause per Mund-zu-Mund-Beatmung gerettet – dumm nur, dass sich dieser junge Mann namens Henry nur als Arzt ausgegeben hatte! Der aus dieser Angelegenheit resultierende Skandal führt zur Verstoßung des jungen Mannes. Er siedelt nach Paris über, gründet »Lord Punch’s Jazz Band« und schlägt sich als Musiker durch. In Paris trifft er bald ein Mädchen, die Tänzerin Baby, die sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Alles wäre gut, könnte er doch nur die junge Dame aus dem Zug vergessen und suchte sie nicht ebenfalls aus triftigem Liebesgrund nach ihm …
Die buntgemischte Gesellschaft der Nachtlokale, Eintänzer, Musiker und Hochstapler, der ganze liebenswürdige Unfug huscht an uns vorbei. Hans Janowitz zeichnet mit »Jazz« ein eindrucksvolles Bild der Zeit, der Gesellschaft und Zerrissenheit des Lebens im späten 20. Jahrhundert – chaotisch, eigenwillig und betäubend.
Hans Janowitz (1890–1954) gehörte zum Prager Dichterkreis. Berühmt wurde er 1920 als Autor des Films »Das Cabinet des Dr. Caligari«. In Prag publizierte er seine ersten Erzählungen, lernte Max Brod und Franz Kafka kennen, stand in engem Austausch mit Karl Kraus oder Ludwig Ficker. 1909 verließ er vorübergehend Prag, versuchte sich an verschiedenen Orten als Filmemacher und Kabarettist. 1924 kehrte er nach Prag zurück und begann, an seinem Roman »Jazz« zu schreiben – seinem letzten literarischen Erfolg. 1939 emigrierte er in die USA.
Hans Janowitz, Jazz, Wallstein Verlag (https://www.wallstein-verlag.de), 152 Seiten, ISBN 978-3-8353-7568-0, 20 Euro.
Rebecca F. Kuang, Yellowface
Hochgelobt und absolut großartig!
June Hayward und Athena Liu könnten beide aufstrebende Stars der Literaturszene sein. Doch während die chinesisch-amerikanische Autorin Athena für ihre Romane gefeiert wird, fristet June ein Dasein im Abseits. Niemand interessiert sich für Geschichten »ganz normaler« weißer Mädchen, so sieht es June zumindest.
Als June Zeugin wird, wie Athena bei einem Unfall stirbt, stiehlt sie im Affekt Athenas neuestes, gerade vollendetes Manuskript, einen Roman über die Heldentaten chinesischer Arbeiter während des Ersten Weltkriegs. June überarbeitet das Werk und veröffentlicht es unter ihrem neuen Künstlernamen Juniper Song. Denn verdient es dieses Stück Geschichte nicht, erzählt zu werden, und zwar egal von wem? Aber nun muss June ihr Geheimnis hüten. Und herausfinden, wie weit sie dafür gehen will.
Rebecca F. Kuang, Yellowface, Eichborn Hardcover (https://www.luebbe.de), 384 Seiten, ISBN 978-3847901624, 24 Euro.
Pedro Gunnlaugur Garcia, Unser leuchtendes Leben
Die isländische Variante von Hundert Jahre Einsamkeit für unser Hier und Jetzt – ein magisches Familienepos: humorvoll, spannungsgeladen, klug und höchst unterhaltsam, funkensprühend und unvergesslich. Ausgezeichnet mit dem Isländischen Literaturpreis.
Island 2089. Die junge Programmiererin Jóhanna versucht verzweifelt den Spagat zwischen ihrem anspruchsvollen Beruf und ihrem neuen Leben als alleinerziehende Mutter. Aber ihr Virtual-Reality-Projekt stockt, und so beginnt sie eines einsamen Abends, endlich das Romanmanuskript ihres Vaters zu lesen, zu dem sie seit einem heftigen Streit keinerlei Kontakt mehr hat. Vor ihr entfaltet sich überraschend ein zunehmend gewaltiges, Jahrhunderte und Kontinente umspannendes Familientableau. Immer dringlicher fragt sich Jóhanna, warum sie hier zum ersten Mal von den Wurzeln ihrer Familie erfährt. Welchem so lange unsagbaren Kern nähert sich ihr Vater mit seiner Erzählung? Und wird ihnen am Ende vielleicht doch eine Versöhnung möglich sein?
Pedro Gunnlaugur Garcia, Unser leuchtendes Leben, Hoffmann und Campe (https://hoffmann-und-campe.de), 416 Seiten, ISBN 978-3-455-01714-4, 26 Euro.
Gerhard Roth, Jenseitsreise
Eindringlich. Fordernd. Gleichzeitig leicht und sinnig. Großartig.
Als Gerhard Roth im Februar 2022 starb, war sein neues Buch zu etwa zwei Dritteln fertig – in einer handschriftlichen Fassung in seinen Notizbüchern. Es ist eine Reise durchs Totenreich, die der Erzähler Franz Lindner als Verstorbener unternimmt. Die Reise führt durch Ägypten, ein Land, das Gerhard Roth immer wieder bereist hat. Dort, im Fegefeuer der Totenstadt Kairo, begegnet Franz Lindner einer Fülle von realen Figuren – vor allem Künstlerinnen und Künstlern aller Sparten, die Gerhard Roth in seinem Leben wichtig waren. Sein Romanfragment ist eine große Hommage an diese Persönlichkeiten und zugleich ein letztes Nachdenken über den Menschen, seine Hoffnungen, seine Kreativität, seine Grenzen. Und ein Selbstporträt des Autors, der mit diesem Buch – in dem alles möglich ist – das Reich der Freiheit erreicht hat.
Gerhard Roth, Jenseitsreise, S.FISCHER (https://www.fischerverlage.de), 416 Seiten, ISBN 978-3-10-397112-5, 26 Euro.
James Ellroy, Die Bezauberer
Genial! Der Wahnsinn hat Methode!
Los Angeles im August 1962: Die Stadt leidet unter einer Hitzewelle. Marilyn Monroe wird tot aufgefunden. Ein halbwegs bekanntes Filmsternchen entführt. Das LAPD schaltet auf Angriff: Kann Chief Bill Parker aus Marilyns Tod Kapital schlagen? Der legendäre Schnüffler Freddy Otash soll ihm Informationen beschaffen. Der unehrenhaft entlassene Ex-Cop ist schmierig und korrupt. Doch er ist der Richtige für den Job. Freddy kämpft sich durch einen menschlichen Dschungel, wo niemand will, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Er nimmt sich auch Jack und Bobby Kennedy vor und mit ihnen gleich das ganze Weiße Haus. Und schließlich entlarvt er Marilyn Monroes letztes Spiel, in einem albtraumartigen Los Angeles, das er mit erschaffen hat und das ihn jetzt mit sich selbst konfrontiert: mit seiner Komplizenschaft und seinem Wahn.
James Ellroy, Die Bezauberer, Ullstein Hardcover (https://www.ullstein.de), 672 Seiten, ISBN 9783550202339, 26,99 Euro.
Chris Whitaker, In den Farben des Dunkels
Sehr intensiv! Ein grandioser, wuchtiger und emotionaler Gesellschaftsroman - ein Meisterwerk: zugleich aufwühlender Kriminalfall und dramatische Liebesgeschichte.
Es ist gleißend heller Hochsommer, als der dreizehnjährige Patch entführt wird. Für seine beste Freundin Saint bricht an diesem Tag die Welt zusammen. Sie isst, schläft und atmet nur noch, um ihn zu finden und nach Hause zu holen. Patch verbringt unendliche Stunden allein in einem stockdunklen Raum. Bis er eine Hand in seiner fühlt. Das Mädchen sagt, es heiße Grace, und es holt Patch aus dem Dunkel, indem es die Welt mit seinen Worten malt.
Patch wird schließlich befreit, doch nicht erlöst. Denn niemand glaubt ihm, dass es Grace wirklich gab. Er will sie um jeden Preis finden und das Verbrechen sühnen, das ihn nicht loslässt. Auch Saint sucht den Täter und die Wahrheit, aber mit ganz anderen Mitteln als Patch. Selbst wenn das bedeutet, dass sie ihn für immer verlieren könnte. Die Geschichte von Saint und Patch ist eine grandiose Odyssee, die den großen Bogen über mehrere Jahrzehnte und quer durch die Vereinigten Staaten spannt. Ein unvergesslich intensiver Roman über die Unausweichlichkeit des Schicksals und die Bedingungslosigkeit der Liebe.
Chris Whitaker, In den Farben des Dunkels, Piper Hardcover (https://www.piper.de), 592 Seiten, ISBN 978-3-492-07153-6, 24 Euro.
Uri Jitzchak Katz, Aus dem Nichts kommt die Flut
Der absolute Wahnsinn! Genial und wunderbar!
Die Suche nach einer Novelle gerät zu einem Abenteuer der Extraklasse. Sie beginnt im Prag der 1920er Jahre, führt Mitte des 20. Jahrhunderts durch die umkämpften Hügel von Hebron und die Obstgärten um Jaffa und zurück in eine abgedrehte Zukunft wie aus Matrix – «Gib acht, was du träumst!»
Alles beginnt mit der sagenhaften Geschichte des Mannes, dessen Gesicht in Grimm erstarrte. Zuerst hört Uri davon in Israel, von seiner Großmutter Zippora. Später schwärmt die heißgeliebte Julia davon. Als Zippora verstirbt und Julia auf rätselhafte Weise verschwindet, macht Uri sich auf die Suche nach der verschollenen Novelle, nach darin verborgenen Zeichen, weil er die Hoffnung nicht aufgibt, Julia wiederzufinden.
Uris fieberhafte Besessenheit treibt ihn in wildem Zickzackkurs durch Zeiten und Welten, durch das alte Osteuropa, die Levante und das Internet bis an den Rand des Wahnsinns – hinein in ein zutiefst persönliches Geheimnis. Am Ende muss er sich eingestehen, dass zwar alles einen Sinn ergibt, aber nichts passt.
Uri Jitzchak Katz, Aus dem Nichts kommt die Flut, Hoffmann und Campe (https://hoffmann-und-campe.de), 576 Seiten, ISBN 978-3-455-01724-3, 26 Euro.
Michelle Steinbeck, Favorita
Eine wilde, wütende, witzige und spielerische Geschichte, die Fragen nach Identität, Zugehörigkeit, sexuellem Begehren und patriarchalischer Gewalt auf den Punkt bringt.
»Es tut mir leid, deine Mutter wurde getötet.« Mit diesen Worten beginnt Filas Odyssee zwischen Lebenden und Toten: Von der Schweiz, in der sie aufgewachsen ist, nach Italien, das ihre Großmutter als junge Frau verlassen hat und wohin ihre Mutter verschwunden ist. Fila zeichnet die Wege der beiden Frauen nach, begleitet von den Gestalten, denen sie unterwegs begegnet: revolutionäre Amazonen, faschistische Deserteure und der Geist einer jungen Bäuerin mit durchschnittener Kehle. Der Roadtrip auf den Spuren ihrer geheimnisvollen Mutter führt sie zum mutmaßlichen Mörder – und mitten ins Herz des Zirkels, der das Land kontrolliert. Fila sitzt in der Falle. Aber sie ist nicht allein.
Michelle Steinbeck, Favorita, park x ullstein (https://www.ullstein.de), 464 Seiten, ISBN 9783988160003, 22 Euro.
Rivka Galchen, Jeder weiß, dass deine Mutter eine Hexe ist
Einfühlsam, bewegend und spannend! Ein fesselnder Roman über den wohl bekanntesten deutschen Hexenprozess gegen Katharina Kepler, die Mutter des Astronomen und Physikers Johannes Kepler, erzählt aus der Sicht einer starken, unabhängigen Frau.
Leonberg, kurz vor Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs: Der kaiserliche Astronom und Protestant Johannes Kepler ist mit den gewagten Thesen seines heliozentrischen Weltbildes bei den württembergischen Herrschern nicht sonderlich beliebt und muss ins Exil. In der Zwischenzeit hält man sich an seiner Mutter Katharina schadlos und beschuldigt sie der Hexerei.
Rivka Galchen schreibt aus Sicht «Kätherlin» Keplers, einer unabhängig denkenden, im besten Sinne «eigenwilligen» Frau von diesem historisch belegten, langjährigen Hexenprozess (1615–21) und stellt sich und uns die Frage, wie wirkmächtig selbstständig handelnde Frauen in der Historie waren. In Galchens Roman prallen Welten aufeinander, politisch, religiös und gesellschaftlich, an einem historischen Wendepunkt vor Krieg, Pest und einsetzender Renaissance.
Rivka Galchen, Jeder weiß, dass deine Mutter eine Hexe ist, Rowohl Hardcover (https://www.rowohlt.de), 320 Seiten, ISBN 978-3-498-02530-4, 24 Euro.
Bernardine Evaristo, Zuleika
Ein bestechender und ungewöhnlicher Roman über ein Mädchen von Heute in der Welt von Gestern. Faszinierend dabei: Das Buch ist in Versform verfasst.
London, 211 n. Chr.: Zuleika ist widerspenstig, schlagfertig und außerordentlich schön. Und sie ist meist auf sich allein gestellt. Doch ihre Freiheit findet ein jähes Ende, als sie von ihrem Vater mit elf Jahren an einen alten fetten Römer verheiratet wird. Trotz aller Widrigkeiten macht sie das Beste aus ihrer Situation. In ihrem goldenen Käfig liest sie die großen Dichter, beginnt selbst zu schreiben und zieht heimlich mit ihren alten Freundinnen um die Häuser. Von wahrer Liebe hat sie keinen blassen Schimmer. Dann begegnet sie dem Kaiser Septimius Severus – und ihre Welt wird aus den Angeln gehoben. Sie beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit ihm, wohl wissend, dass ihr als treuloser Ehefrau der Tod durch Vergiften droht. Aber Zuleika will um jeden Preis in glühenden Versen ihre eigene Geschichte erzählen.
Bernardine Evaristo, Zuleika, Tropen Hardcover (https://www.klett-cotta.de), 264 Seiten, ISBN 978-3-608-50238-1, 25 Euro.
John Niven, Gott bewahre
Kurzweilig! Der SPIEGEL-Bestseller von John Niven zum Thema Nächstenliebe, und sonstigem ...
Kaum hat Gott sich im Himmel eine kleine Auszeit gegönnt und Seinem Sohn Jesus Christus die Geschäftsführung überlassen, schon herrscht auf Erden das nackte Chaos. Bürgerkriege, Umweltsünden, Armut, Hassprediger, tödliche Krankheiten, moralischer Verfall und gnadenloser Kommerz, so weit das Auge reicht. Was wurde aus der Menschenliebe und dem einzig wahren Gebot: SEID LIEB? Gott denkt nach und findet nur eine Lösung – Sein Sohn Jesus muss erneut auf die Erde zurückkehren, um Gutes zu tun. Doch werden die Menschen auf JC hören?
John Niven, Gott bewahre, btb Taschenbuch (https://www.penguin.de), 400 Seite, ISBN 978-3-442-77431-9, 13 Euro.
Graham Norton, Ein Ort für immer
Lebensklug und mit feinem Humor geschrieben, fesselnd. Der große neue Roman von Graham Norton: mit so viel Herzenswärme, Witz und Melancholie erzählt, wie es nur der irische Bestsellerautor kann.
Carol, eine geschiedene Lehrerin, hätte nie gedacht, dass sie sich noch mal verliebt. Bis sie Declan begegnet. Für beide ist es die große Liebe, nach wenigen Monaten zieht sie zu ihm in sein Haus. In der irischen Kleinstadt tuschelt man über das Paar, und auch Sally und Kilian, Declans Kinder, lehnen die neue Frau an der Seite ihres Vaters ab. Doch das schweißt die beiden nur noch mehr zusammen. Dann wird Declan dement. Die Krankheit verschlechtert sich rapide, er kommt in ein Pflegeheim. Sally und Kilian beschließen, das Haus zum Verkauf anzubieten, das ihm so wichtig war und für Carol zum Zuhause geworden ist. Und so muss Carol mit fast fünfzig Jahren und einem gebrochenen Herzen wieder bei ihren Eltern einziehen. Ihre Mutter Moira hat nie viel von Declan gehalten, aber sie erträgt es nicht, ihr Kind so leiden zu sehen. Kurzerhand kauft sie das Haus für ihre Tochter, nicht ahnend, welch dunkles Geheimnis sich dort verbirgt …
Graham Norton, Ein Ort für immer, Kindler Verlag (https://www.rowohlt.de), 384 Seiten, ISBN 978-3-463-00048-0, 25 Euro.
Abel Quentin, Der Seher von Étampes
Eine augenöffnende Lektüre: atmosphärisch dicht und sehr süffig, lebensklug und perfekt inszeniert.
Jean Roscoff versteht die Welt nicht mehr. Eigentlich wollte er mit seinem Buch Der Seher von Étampes eine Hommage auf einen unbekannten afroamerikanischen Dichter schreiben, stattdessen hat er den größten Literaturskandal in der jüngeren Geschichte Frankreichs ausgelöst. Im Internet wütet ein heftiger Shitstorm, Presse und Rundfunk machen dem pensionierten Akademiker mit Hang zu Alkohol, Nostalgie und Fettnäpfchen öffentlich den Prozess. Der Vorwurf: kulturelle Aneignung. Denn seit Roscoff in den 1980er-Jahren als löwenmähniger Postpunk auf die Straße ging, haben sich die ideologischen Koordinaten des linken Antirassismus verschoben. Was einst progressiv war, gilt heute als reaktionär.
Wie ein Seismograf für gesellschaftliche Erdbeben verzeichnet Abel Quentin die neuesten Verwerfungen im unwegsamen Terrain der Moral. Mit satirischem Scharfsinn seziert er die Dynamiken des digitalen Meinungskampfes und entwirft ein bissiges Porträt der Medienwelt. Vor allem aber nimmt er seine Figuren beim Wort, folgt ihnen durch ihre höchst unterschiedlichen Milieus und interessiert sich – immer scharfzüngig, nie gnadenlos – für ihr Hadern mit der Welt, den anderen und sich selbst.
Abel Quentin, Der Seher von Étampes, Matthes & Seitz Berlin (https://www.matthes-seitz-berlin.de), 350 Seiten, ISBN 978-3-7518-0964-1, 25 Euro.
Paul Auster, Mond über Manhattan
Fabulierfreudig, geheimnisvoll, unerwartend, einfach gut: Ein wilder Roman voll grotesker Abenteuer.
Der Student Marco Stanley Fogg wohnt in einem leeren New Yorker Loft mit Ausblick auf einen Hinterhof und ein China-Restaurant. Seit sein Onkel und Ersatz-Vater gestorben ist, hat er die Wohnung nicht verlassen. Einem Zusammenbruch nahe beginnt er, überall Zeichen zu sehen: Die Leuchtreklame «Moon Palace» scheint geheimnisvoll mit den Moon Men, der Jazz Band seines Onkels, verbunden. Diese wieder mit der ersten Mondlandung. Marco macht sich auf, um das Rätsel zu lösen - vielleicht ist es auch das seiner Herkunft.
Paul Auster, Mond über Manhattan, Rowohlt Taschenbuch (https://www.rowohlt.de), 416 Seiten, ISBN 978-3-499-01532-8, 16 Euro.
Henry Hoke, Ganz wie ein Mensch
Sehr eigen, aber geht unter die Haut. Nominiert für den PEN/Faulkner Award 2024.
In den Hügeln von Los Angeles, gleich unter dem Hollywood-Schriftzug, lebt einer der gefährlichsten und hungrigsten Bewohner der Millionenstadt: Ein einsamer Berglöwe, der die heißen und beutearmen Tage damit verbringt, den Wanderern in den Hollywood Hills bei neurotischen Gesprächen zuzuhören, ein nahegelegenes Obdachlosencamp zu bewachen und Insekten zu fressen. Als ein Feuer im Camp ihn zwingt, den Weg über die Highways nehmen, findet er sich auf einmal in der Stadt wieder, von der er schon so viel gehört hat: „Ellay“. Hier begegnet er nicht nur neuen Gefahren, sondern auch einer möglichen Retterin – und einem alten Bekannten, mit dem er noch eine Rechnung offen hat …
In atemloser, außergewöhnlicher Sprache beschreibt der Löwe seine Sicht auf eine schnelle, hitzige und traumatisierte Welt, und erzählt so letztendlich doch nicht von sich – sondern von uns Menschen.
Henry Hoke, Ganz wie ein Mensch, Eisele Verlag (https://www.ullstein.de), 192 Seiten, ISBN 9783961611881, 22 Euro.
Gijs Wilbrink, Tiere
Kluger Romane, der neue Perspektiven eröffnet.
Am Rand eines abgelegenen Dorfes im Achterhoek liegt der Bauernhof der Familie Keller, vom Dorf gleichermaßen gefürchtet wie verachtet. Landwirtschaft wird hier schon lange nicht mehr betrieben, Tiere gibt es trotzdem: die illegale Nerzzucht des Großonkels. Auch als Isa längst den Hof verlassen hat und zum Studieren in die Stadt gegangen ist, verfolgt sie das Fiepen der Tiere noch bis in den Schlaf. Dann holt sie ein Anruf zurück ins Dorf: Ihr Vater ist verschwunden. Die Suche nach ihm wird zu einer Suche nach ihrer eigenen Identität. Und nach der Wahrheit über ihre Familie.
Gijs Wilbrink, Tiere, Ullstein Hardcover (https://www.ullstein.de), 448 Seiten, ISBN 9783550202636, 24,99 Euro.
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